Viele Gemeinden befinden sich momentan im Zwiespalt: Einerseits wollen sie dem Wunsch der Bürger und der Industrie nach neuen Wohn- bzw. Gewerbegebieten nachkommen. Andererseits steht diese Nachfrage im direkten Widerspruch zu der politisch gewünschten Reduzierung des sog. „Flächenfraßes“. Eine Möglichkeit, diesen Spagat zu meistern, besteht in der Stärkung der Innenentwicklung. In diesem Zusammenhang kommt der baulichen Wiedernutzung von Brachflächen eine hohe Bedeutung zu. Durch sogenanntes Flächenrecycling bzw. Brachflächenrevitalisierung können die ungenutzten oder brachliegenden Flächen bebaut werden. Ob Brachflächen für eine bauliche Folgenutzung interessant sind, hängt neben den Kosten für die Baureifmachung und der Flächennachfrage von artenschutzrechtlichen Belangen ab. Werden diese nicht frühzeitig berücksichtigt, können deutliche Verzögerungen der Planung entstehen.
Städtische Brachflächen als Lebensraum für geschützte Arten
Unter städtischen Brachflächen werden Flächen im Siedlungsbereich verstanden, deren ursprüngliche Nutzung weggefallen ist. Meist werden diese vorübergehend bzw. dauerhaft nicht mehr oder nur noch sehr extensiv genutzt und unterliegen der natürlichen Sukzession. Typische Beispiele sind Industrie- und Gewerbebrachen: ehemalige Produktions- und Lagerflächen oder ehemals genutzte Flächen der technischen Infrastruktur wie z. B. Bahngelände. Diese Flächen stellen oft Lebensräume für sog. Neobiota – invasive, ursprünglich nicht beheimatete Pflanzenarten, die z. B. über Bahntrassen eingeschleppt wurden – dar. Aber auch einheimische Arten fühlen sich in derartigen Lebensräumen wohl – darunter auch einige seltene und streng geschützte Tierarten.
Ähnlich wie strukturreiche Grünflächen, z. B. alte Parkanlagen, weisen auch städtische Brachflächen oftmals eine überdurchschnittlich hohe Artenvielfalt auf. Durch die städtischen Umweltbedingungen werden dabei bestimmte Artengruppen besonders gefördert. Insbesondere wärmeliebende Arten offener Fels- und Sandstandorte, deren natürliche Lebensräume selten geworden und die in ihren ursprünglichen Habitaten oft gefährdet sind, besiedeln künstliche Rohbodenstandorte, Höhlen und Felsen als wichtige Sekundärlebensräume. Dazu zählen beispielsweise seltene und/oder geschützte Arten wie der Flussregenpfeifer, der Idas-Bläuling, die Blauflügelige Sandschrecke bzw. Ödlandschrecke sowie die Zaun- und Mauereidechse.
So vermeiden Sie Verzögerungen und erhöhte Kosten im Bauleitplanverfahren
Mit dem Ziel, Verzögerungen im Bauleitplanverfahren zu vermeiden sowie zusätzlich anfallende Kosten frühzeitig zu berücksichtigen, sind Artenschutzspezialisten von Anfang an bei der Planung einzubeziehen. Die Zusammenarbeit ist bereits bei der Wahl der Planungsfläche mit einer Potenzialanalyse möglicher artenschutzrechtlicher Konflikte zu beginnen. Bei einer positiven Bewertung ist die frühzeitige Erfassung des Artenbestandes unter besonderer Beachtung der streng geschützten Arten unbedingt zu empfehlen. Weiterhin sollte für den Fall des Vorhandenseins streng geschützter Arten die Abstimmung mit den Naturschutzbehörden ebenfalls frühzeitig stattfinden. Zu berücksichtigen ist zudem, dass im Sinne des Vermeidungs- und Minderungsgebots eine deutliche Optimierung von Bauabläufen gewährleistet werden kann, wenn von Beginn an eine Rückkoppelung mit der technischen Planung über den gesamten Realisierungszeitraum stattfindet. Mit dem Wissen um die Betroffenheit von Arten können anschließend Konzepte zur Vermeidung des Eintretens von Verbotstatbeständen nach § 44 BNatSchG entwickelt werden. Entscheidend ist dabei auch die frühzeitige Realisierung erforderlicher Ausgleichsmaßnahmen. Bei Vorkommen von Zauneidechsen beispielsweise sollten Ausgleichsflächen beziehungsweise Umsiedlungsflächen mindestens ein Jahr vor dem geplanten Eingriff fertiggestellt sein, um den umgesiedelten bzw. einwandernden Tieren ausreichend Schutz und Nahrung zu bieten.
Im Rahmen von Bauleitplanverfahren auf städtischen Brachen ist es nicht ungewöhnlich, dass die Vorhabenträger mit artenschutzrechtlichen Konflikten konfrontiert werden. Eine Lösung dieser Konflikte ist in der Regel durch einen frühzeitigen Fokus auf diese Thematik und die Umsetzung geeigneter Maßnahmen greifbar, sodass dem weiteren Verlauf des Planvorhabens zumindest aus artenschutzrechtlicher Sicht nichts mehr im Wege steht. Im Optimalfall gelingt es, nach dem Leitbild der „doppelten“ oder „qualifizierten Innenentwicklung“ Innenverdichtung und Freiraumentwicklung so zu kombinieren, dass bestehende Quartiere nachhaltig aufgewertet werden oder neue Wohngebiete mit hoher Umwelt- und Lebensqualität entstehen.
Ein typischer Bewohner – Die Zauneidechse
Die Zauneidechse bewohnt reich strukturierte, offene Lebensräume mit einem kleinräumigen Mosaik aus vegetationsfreien und grasigen Flächen, Gehölzen, verbuschten Bereichen und krautigen Hochstaudenfluren. Als Sekundärlebensraum nutzt sie auch vom Menschen geschaffene Lebensräume wie Eisenbahndämme, Sand- und Kiesgruben oder Industriebrachen. Liegen im Rahmen eines Bauleitplanverfahrens gemäß § 44 BNatschG artenschutzrechtliche Konflikte mit dieser Art vor, besteht die Möglichkeit, Tiere aus dem Plangebiet abzufangen und in entsprechende Ersatzhabitate umzusiedeln. Der Erfolg der Maßnahme ist in der Regel mittels eines Monitorings zu dokumentieren.
Artenschutz in der Bauleitplanung: Rechtlicher Hintergrund
Den rechtlichen Rahmen für den Artenschutz in Bebauungsplanverfahren bilden die Zugriffsverbote aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG (Tötungsverbot, Schädigungsverbot, Störungsverbot). Diese sog. Verbotstatbestände dürfen entweder als nicht erfüllt bewertet werden oder müssen durch Maßnahmen im Sinne von § 44 Abs. 5 freigestellt sein. Sind die Verbotstatbestände trotz der Umsetzung von Maßnahmen nicht zu vermeiden, kann die zuständige Naturschutzbehörde unter bestimmten Bedingungen eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilen. Ist im Rahmen des Verfahrens abzusehen, dass die Planung nicht mit dem Artenschutzrecht vereinbar ist, so ist der Bebauungsplan ganz oder teilweise nicht vollzugsfähig und somit unwirksam. In der Praxis kann ein Bebauungsplan nur rechtskräftig sein, wenn etwaige artenschutzrechtliche Konflikte vor dem Verfahrensabschluss gelöst wurden.